Donezk, 28.02.22. Früh morgens um sieben Uhr werde ich von drei großen Autos abgeholt, von denen zwei mit einem großen weißen „Z“ markiert sind. Ich kannte diese Markierung aus dem Internet, alle russischen Fahrzeuge der militärischen Operation in der Ukraine tragen sie. In dem Auto ohne „Z“ soll ich Platz nehmen, zusammen mit einem amerikanischen und einem russischen Journalisten. Die anderen beiden Fahrzeuge stellen sich als Begleitfahrzeuge heraus, in denen schwer bewaffnete Soldaten mitfahren, die uns den Weg zeigen und uns beschützen sollen.
Wir fahren los in Richtung Süden – an die Front, an der Soldaten der Donezker Volksrepublik und der russischen Armee derzeit durch im Donbass gelegenen Dörfer rauschen, die seit Jahren unter ukrainischer Kontrolle stehen. Ich bin hochgespannt, was wir dort sehen würden. Doch bevor es richtig losgeht, halten wir an einer Tankstelle an, denn die Reisetruppe möchte Kaffee mit Schokoriegeln und Mini-Croissants frühstücken. Ich lehne dankend ab, dennoch werden mir Cappuccino und eine Tafel Schokolade in die Hand gedrückt. Einige Soldaten füttern einen Straßenhund, der uns mit großen bettelnden Augen beim Essen zuschaut, mit Mini-Croissants. Dann geht es endlich los – mit einer kugelsicheren Weste über dem Fenster meiner Tür und mehreren Gewehren zwischen unseren Füßen, was ich etwas gruselig finde.
Ungefähr eine Stunde lang fahren wir über schlammige Straßen zwischen Feldern und Dörfern hindurch. Auf dem Weg sehen wir jede Menge Panzer, im Feld aufgestellte Artillerie, endlos lange Militär-Konvois und vor allem beschädigte Wohnhäuser. Auf allen Fahrzeugen prangt das berühmt-berüchtigte „Z“. Ich frage meine Kollegen, was dies bedeuten würde; Sie sagen, sie hätten mehrere Varianten gehört – die verbreitetste Erklärung sei „Zorro“. Als Zeichen dafür, dass die Streitkräfte Russlands und der Donbassrepubliken für die Wiederherstellung der Gerechtigkeit eingesetzt würden.
Acht Jahre lang hatten die ukrainischen Streitkräfte die Donbassbevölkerung regelrecht terrorisiert, mit Scharfschützen auf im Grenzbereich lebende Zivilisten geschossen, Anschläge auf Schulen oder gar humanitäre Hilfsaktionen verübt. Ich selbst war mehrfach in diese Grenzgebiete gefahren und habe das Leid mit eigenen Augen gesehen – und die Schüsse der ukrainischen Soldaten gehört.
Wir erreichen das erste Dorf, in dem wir drehen wollen: Nikolaevka. Erst zwei Tage zuvor war es aus ukrainischer Kontrolle „befreit“ worden, wie man hier sagt. Wir steigen aus dem Auto, mein Blick fällt sofort auf eine Kirche mit wunderschöner goldener Kuppel, deren eine Hälfte wie abgerissen aussieht. Unser Fahrer stellt sich mir nochmals vor, erklärt, er sei Personenschützer und ich solle in gefährlichen Situationen immer sofort nach ihm Ausschau halten. Alles klar. Wir gehen in Richtung Kirche, kommen an einem fast komplett zerstörten Wohnhaus vorbei. Ich betrachte den Innenhof, die bunten Kinderspielzeuge, die dort aus den Trümmern hervorleuchten.
Plötzlich erschüttert eine ohrenbetäubende Explosion die Umgebung und ich springe wie automatisch in die Arme des Personenschützers. Er lacht etwas und erklärt mir, dass dies ein Abschuss „von unseren“ gewesen wäre. Es folgen weitere Schüsse und ich kann mich einfach nicht daran gewöhnen. Die kriegserfahrenen „alten Hasen“ um mich herum müssen schmunzeln.
Nachdem wir ein paar Aufnahmen im Kasten haben, fahren wir weiter Richtung Süden. Plötzlich macht unser vorausfahrendes Begleitauto eine scharfe Linkskurve und setzt zurück, um umzudrehen. Uns wird bedeutet, es ihm gleich zu tun. Wir drehen um, passieren einen kleinen Militärwagen, aus dem plötzlich einige Soldaten springen und unsere Türen aufreißen. Völlig in Panik bitten sie uns, uns ein paar Meter mitzunehmen, ukrainische Scharfschützen hätten gerade ihre Reifen zerschossen. Die Soldaten quetschen sich in unsere kleine Kolonne und wir rasen los. Wir werden gefragt, was zum Teufel wir hier verloren hätten, am anderen Straßenende sei gerade sogar ein ukrainischer Panzer eingefahren. Aus dem Fenster nehme ich plötzlich zig nebeneinander auf dem Boden liegende Scharfschützen mit Gewehren wahr, die in eine Richtung zielten. Wir hatten wohl ausversehen die Front der Front erreicht.
Nach all der Aufregung fahren wir in das Dorf Starognatovka, dessen Hauptstraße in voller Länge von russischen und donezker Militärfahrzeugen vollsteht. Alle Motoren laufen, der Lärm ist kaum vorzustellen. Wir halten am Dorfladen an, wo ich eine Frau anspreche, ob sie mir ein paar Worte zur aktuellen Lage und den Erlebnissen der letzten Tage erzählen mag. Sie bricht sofort in Tränen aus, fragt, was man da erzählen soll, es sei die Hölle gewesen. Bevor die „Z“-Truppen kamen, hätten die Ukrainer massiv das Dorf unter Beschuss genommen, tagelang hatten die Bewohner in Kellern gekauert, ohne Schlaf, oft ohne Essen. Die Geschäfte waren geschlossen gewesen. Mehrere Häuser wurden schwer beschädigt oder zerstört, einige Nachbarn sind ums Leben gekommen. Seit die Russen da sind, ist alles endlich wieder friedlich, sagt sie, seit zwei Tagen könne sie wieder schlafen und die Geschäfte hätten auch wieder geöffnet. Ich bedanke mich bei ihr und drücke sie ganz fest. Wir gehen weiter durch das Dorf, sprechen mit verschiedenen Anwohnern, die uns genau die gleiche Geschichte erzählen. Dann fahren wir zurück nach Donezk – das Benzin reichte nicht mehr für lange Zeit und es gab in der Umgebung keine Tankstellen. Zurück in Donezk verabredeten wir uns für einen weiteren Fronttrip am nächsten Tag.
Nachtrag: Die in diesem Artikel beschriebenen Ereignisse entsprechen der Wahrheit und haben sich genauso abgespielt. Sie sind von mir mit Fotos und Videos dokumentiert worden. Das Material wurde und wird auf meinem Telegramkanal t.me/neuesausrussland sowie bei Peertube unter „Neues aus Russland“ veröffentlicht.